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Porträt eines unbekannten jungen Mannes

Andreas Theodor Mattenheimer, 1805, Öl auf Leinwand, Historisches Museum Bamberg, Inv. Nr. 1030

Ungewöhnlich präsentiert sich der unbekannte junge Mann, der in diesem Bildnis dargestellt ist. An den Ohren glänzen goldene Ohrringe, und das Stirnhaar trägt der Porträtierte in kleinen Löckchen frisiert. Auch die Kleidung, auf Porträts von Männern dieser Epoche meist ein untergeordnetes Thema, wird hier besonders hervorgehoben: Ein Anzug, genauer ein heller ockerfarbener habit, möglicherweise aus Seide, als Hemd ein weißes jabot mit dazugehöriger Weste. Besonders auffällig sind die persönlichen Objekte, die der Porträtierte in den Händen hält: in der rechten Hand ein kurzer schwarzer Stab oder Stock mit metallbesetzten Enden, und in der linken ein weißes Tuch mit rötlichem Saum. Nicht gerade herkömmlich ist auch die Porträtpose: Der junge Mann sitzt dem Betrachter oder der Betrachterin frontal und nahgerückt mit überschlagenen Beinen gegenüber. Er schaut uns Betrachtende direkt an. Fast demonstrativ hält er uns dabei seine modischen Accessoires entgegen, den Stock und das Tuch, offenbar als Attribute der ihm eigenen Eleganz. Neben ihm steht auf einem Beistelltisch eine Büste, vermutlich die eines antiken griechischen Philosophen.

Es wirkt beinahe, als wolle der Dargestellte mit uns in ein Gespräch eintreten. Worin könnte es in einer solchen Unterhaltung gehen? Das beschriebene Bildnis gibt einige Hinweise: um individuelles Auftreten, das sich abhebt vom Konformismus, um Mode und Extravaganz, vielleicht auch um Geschlecht, Androgynität und das Spiel mit Identitäten. Und um eine Philosophie des guten Lebens, wie man den Hinweis auf die griechische Weisheit in Form der Philosophenbüste deuten könnte.

Worin unterscheidet sich das Bildnis des Unbekannten von gängigen Porträtformeln der Kunst um 1800? Damals ließen sich junge Männer in der Regel nur in zurückhaltender Pose darstellen. Oft blieb der Bildausschnitt auf Kopf und Schulteransatz beschränkt. Wurde der Körper einbezogen, trugen Männer, sofern sie nicht bedeutende Ämter innehatten, eine dezente, meist dunkle Kleidung. Denn diese sollte nicht vom Gesicht und seiner Mimik ablenken.

Um solche Zuschreibungen von Geschlecht scheint sich der hier Dargestellte wenig zu kümmern; er prägt seinen eigenen eleganten Stil und konfrontiert uns mit seiner bewusst antikonformistischen Haltung. Das macht das in Bamberg aufbewahrte Bildnis so besonders.

Dass auch und gerade Männer ihre Kleidung als Ausdruck ihrer Individualität nutzen, war übrigens in der Gesellschaft um 1800 ein vielbeachtetes Phänomen. Über männliche Eleganz gab es viel Für und Wider. Dass in Weimar erscheinende Journal des Luxus und der Moden etwa unterbreitete seinen (damals überwiegend männlichen) Lesern immer wieder Vorschläge, welche Kleidung dem Zeitgeschmack, der Saison oder gar einem historischen Ereignis besonders gut entspricht.

Berühmt-berüchtigt waren in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts die sogenannten ‚Incroyables‘ [franz. für ‚unglaublich‘], die ‚unerhört‘ exzentrisch gekleideten jungen Männer. Diese stammten aus den neuen bürgerlichen Eliten, die nach dem Sturz des Ancien Régime ein neues Selbstbewusstsein und in der Großstadt Paris teilweise einen provokanten extravaganten Lebensstil entfalteten. Solche sogenannten Élégants oder Dandys, im Deutschen gelegentlich despektierlich als Stutzer bezeichnet, gab es auch in Berlin oder an den deutschen Residenzhöfen. Beschreibungen findet man reichlich bei so unterschiedlichen Chronisten der Zeit wie Georg Christoph Lichtenberg, Christian Garve, Johann Wolfgang Goethe oder E.T.A. Hoffmann.

Mit seinen Ohrringen und Stirnlöckchen überbietet der junge Mann auf dem Porträt allerdings sogar die Mode-Exzentriker nach Art der Incroyables. Ohrringe wurden um 1800 mit Darstellungen männlicher Indigener verbunden, im Sprachgebrauch der Zeit ‚Wilde‘ oder ‚Indianer‘, die ihren sonst nackten Körper mit Gold schmückten. Der Porträtierte wählte also ein ausgesprochenes exotisches Accessoire. Auf dem Bild verbinden sich auf diese Weise Mode-Bewusstsein, Körperlichkeit, Exotik und philosophisches Gespräch zu einem vieldeutigen Spiel der Identitäten.